Hier ist das Neunzehntes Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes im WWW zu finden:
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Anlass und Inhalt des Gesetzes lt. Entwurfsbegründung (BT-Drs Nr. 17/6290)
AnzeigeA. Ziel
Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 3. Juli 2008 (BVerfGE 121, 266) entschieden, dass § 7 Absatz 3 Satz 2 in Verbindung mit § 6 Absatz 4 und 5 des Bundeswahlgesetzes (BWG) die Grundsätze der Gleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl nach Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes verletzt, soweit hierdurch ermöglicht wird, dass ein Zuwachs an Zweitstimmen zu einem Verlust an Sitzen der Landeslisten oder ein Verlust an Zweitstimmen zu einem Zuwachs an Sitzen der Landeslisten führen kann. Es hat den Gesetzgeber verpflichtet, spätestens bis zum 30. Juni 2011 eine verfassungsgemäße Regelung zu treffen.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bezieht sich auf den für verfassungswidrig erachteten Effekt des so genannten negativen Stimmgewichts oder inversen Erfolgswerts. Hierunter wird eine Paradoxie im Verfahren der Mandatszuteilung nach dem geltenden Wahlrecht verstanden. Sie besteht darin, dass ein Zugewinn von Zweitstimmen einer Partei zu einem Mandatsverlust bei genau dieser Partei und umgekehrt die Verringerung der Anzahl der Zweitstimmen zu einem Mandatsgewinn führen kann (BVerfGE 121, 266 [267]). Der Effekt des negativen Stimmgewichts entsteht nicht nur in seltenen Ausnahmefällen, die bei der verfassungsrechtlichen Bewertung des Wahlrechts vernachlässigt werden könnten. Er kann immer dann auftreten, wenn in einem Land, in dem Überhangmandate entstanden sind, in der Unterverteilung ein so hoher Reststimmenanteil besteht, dass mit nur wenigen Stimmen mehr ein weiteres Mandat in diesem Land zu Lasten einer anderen Landesliste derselben Partei entsteht. Das Zusammentreffen der verschiedenen Faktoren, die den Effekt des negativen Stimmgewichts verursachen, ist so wahrscheinlich, dass damit regelmäßig zu rechnen ist, wenn bei einer Wahl Überhangmandate entstehen. Entsprechendes gilt für den umgekehrten Fall, in dem weniger Stimmen zu einem zusätzlichen Mandat führen (BVerfGE 121, 266 [301 f.]). Die Regelungen des Bundeswahlgesetzes, die den Effekt nicht nur in seltenen und unvermeidbaren Ausnahmefällen hervorrufen, sind daher nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts mit der Verfassung nicht zu vereinbaren (vgl. BVerfGE 121, 266 [308]).
Regelungsbedürftig ist auch die Problematik der "Berliner Zweitstimmen", die in der Praxis erstmals im Land Berlin bei der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag im Jahr 2002 aufgetreten ist. Ihr liegt die Fallgestaltung zugrunde, dass ein oder zwei Wahlkreisbewerber einer Partei Direktmandate erringen, während Landeslisten dieser Partei auf Grund der Sperrklausel in § 6 Absatz 6 BWG an
der Sitzverteilung nicht teilnehmen. In einer solchen Fallgestaltung haben Wähler dann einen "doppelten Erfolgswert", wenn sie mit ihrer Erststimme einen erfolgreichen Wahlkreiskandidaten der an der Sperrklausel gescheiterten Partei gewählt haben, dagegen mit ihrer Zweitstimme einer anderen Partei zu Listenmandaten verhelfen. Da nach geltendem Wahlrecht die Zweitstimme dieser Wähler berücksichtigt wird (vgl. § 6 Absatz 1 Satz 2 BWG, der den Fall der "Berliner Zweitstimmen" nicht erfasst), beeinflussen diese Wähler sowohl mit ihrer Erst- als auch mit ihrer Zweitstimme das Wahlergebnis und erlangen auf diese Weise einen "doppelten Erfolgswert".
Ein "doppelter Erfolgswert" ist mit dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl nicht zu vereinbaren. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits mit Urteil vom 23. November 1988 zur Verfassungsmäßigkeit des § 6 Absatz 1 Satz 2 BWG in einem obiter dictum darauf verwiesen, dass der Gesetzgeber im Blick auf die im Wahlrecht in besonderem Maße gebotene Rechtsklarheit zu erwägen habe, ob § 6 Absatz 1 Satz 2 BWG um die Fallgestaltung der "Berliner Zweitstimmen" zu ergänzen sei; der Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens deute auf eine Regelungslücke hin (BVerfGE 79, 161 [168]). Auf diese Ausführungen hat es in seinem Beschluss vom 15. Januar 2009 Bezug genommen und eine gesetzliche Lösung der Problematik der "Berliner Zweitstimmen" im Rahmen der angeordneten Neuregelung des für den Effekt des negativen Stimmgewichts verantwortlichen Vorschriftenkomplexes für angezeigt gehalten (BVerfGE 122, 304 [312]).
B. Lösung
In Umsetzung des Regelungsauftrags des Bundesverfassungsgerichts zum negativen Stimmgewicht sieht der vorliegende Gesetzentwurf Änderungen des Bundeswahlgesetzes vor, die die Verfassungswidrigkeit des Effekts des negativen Stimmgewichts unter Beibehaltung des Wahlsystems der personalisierten Verhältniswahl beseitigen. Die Neuregelung gründet auf den Verzicht der bislang nach § 7 BWG vorgesehenen Listenverbindung, den das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 3. Juli 2008 als eine von mehreren Lösungsmöglichkeiten bezeichnet hat, die dem Gesetzgeber zur Verfügung stehen (vgl. BVerfGE 121, 266 [307/315]). Die Abschaffung der Möglichkeit der Listenverbindung wird ergänzt um eine Sitzverteilung auf der Grundlage von Sitzkontingenten der Länder, die sich nach der Anzahl der Wähler in den Ländern bestimmen. Das Verfahren für die Verteilung der nach Landeslisten zu besetzenden Sitze bleibt da- mit zweistufig ausgestaltet. In einem ersten Schritt wird die Zahl der Sitze ermittelt, die von der Gesamtzahl der Sitze im Deutschen Bundestag auf jedes Land entfällt; in einem zweiten Schritt werden die auf ein Land entfallenden Sitze auf die dort zu berücksichtigenden Landeslisten verteilt. Erfolgswertunterschiede durch Rundungsunterschiede bei der Verteilung der Sitze in den 16 Sitzkontingenten werden ausgeglichen, wenn die Stimmreste einer Partei bundesweit die Schwelle für die Vergabe eines Mandats überschreiten (§ 6 Absatz 2a BWG neu ).
Hinsichtlich der Problematik der "Berliner Zweitstimmen" sieht der Gesetzentwurf die Beseitigung der Regelungslücke in § 6 Absatz 1 BWG vor.
Bundestagsdrucksachen zur Beratung des Gesetzes
Links führen zur DIP-Datenbank des Deutschen Bundestages.
Nummer | Datum | Inhalt |
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17/6290 | 28.06.2011 | Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP |
17/7069 | 22.09.2011 | Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses |
Durch das Gesetz geänderte Rechtsnormen (soweit auf rechtliches.de verzeichnet):